Noira Händeleine Horrorstory

Wie bei wohl jedem Freigeist, dessen Leidenschaft irgendwann einmal zur Berufung wird, habe auch ich die Vorboten jenes Wahnsinns bereits in der Kindheit vernommen. Schauergeschichten zogen mich schon immer in den Bann. Damals zählten »Das kleine Gespenst« und »Frau Frisby und die Ratten von NIMH« zu meinen absoluten Lieblingsbüchern.

Die Monster, die ich rief

O ja, Monster! Ich liebe sie, seit ich mich gruseln kann. Auch wenn es zwischendurch vorkam, dass ich mit pochendem Herzen, schreckensgeweiteten Augen und gespitzten Ohren in meinem Bett lag, weil ich mir sicher war, jeden Moment ein Knurren zu hören oder das Leuchten eines bösartigen Augenpaares in der Dunkelheit zu sehen.
Auf den Fahrten in den Kindergarten wollte ich immerzu »Night Crawler« von Judas Priest hören. Ich saß im Kindersitz, hatte bunte Schleifen in meinen langen blonden Haaren und träumte von dem schwarzen Biest, das nachts durch die Stadt schlich, um sich sein nächstes Opfer zu holen ...

Beim Wandern in der heimischen Fränkischen Schweiz oder in den Bayerischen Alpen hing ich wie gebannt an den Lippen meines Vaters, wenn dieser etwas Haarsträubendes zu einem der besuchten Orte zu erzählen hatte.
Seine Worte ließen mich nicht mehr los, sodass ich ihn noch Tage danach mit Fragen und Gedanken löcherte.


Schock ... verliebt in Horrorbücher

Von meinen Eltern bekam ich in der Jugend die Werke von Stephen King, Scott Smith und James Rollins zu lesen. Da war es um mich geschehen. Ich verliebte mich in den Schrecken des geschriebenen Wortes.
Fortan verschlang ich sämtliche gruseligen Bücher und Groschenromane, die ich in die Finger bekam. An den Wochenenden hoffte ich zusätzlich auf einen guten Schocker im Fernsehen, um meine Gier zu stillen. Denn um die Jahrtausendwende waren wir ja leider noch etwas entfernt von der prallen Zeit der Streamingdienste.

Von Vampiren und Hobbits

Bald reichte meiner ausufernden Fantasie das alleinige Konsumieren nicht mehr aus. Der Schreibdrang stieß mit voller Wucht in meine Seele wie ein Holzpfahl in das Herz eines Vampirs. Nur dass ich nicht zu Staub zerfiel, sondern zum Leben erwachte.
Ich schrieb Tagebuch, Gedichte und eine Horrorkomödie über meinen Schulalltag. Nachdem ich mit fünfzehn den ersten Teil der »Herr der Ringe«-Trilogie gesehen und den Hobbit gelesen hatte, dachte ich im jugendlichen Übermut: Hey, das kannst du auch!
Am nächsten Tag begann ich einen Dark Fantasy Roman, unter den ich ein Jahr später das Wort Ende schrieb.
Dass ich unheimlich stolz war, brauche ich sicherlich nicht zu erwähnen.

In den Klauen des Grauens

Als dann Familie und Freunde mein Manuskript gelesen und als erstaunlich gut befunden hatten, schickte ich es an einen Verlag, dessen Anzeige ich in einer Zeitschrift gesehen hatte. Die Antwort, die nach nicht allzu langer Zeit in Form eines Briefes ins Haus flatterte, brach mir das Herz.
Ich sollte eine hohe Summe bezahlen, dann würden sie das Manuskript gerne verlegen.
Voller Enttäuschung weinte ich bittere Tränen. Ich verlor die Hoffnung und mein Schreibdrang zerfiel zu Staub.

Was dann geschah, ist das, wovon ich überzeugt bin, dass es jeder ernst zu nehmende Schreibende allem voran braucht: das Leben. Den ganz normalen Wahnsinn – dessen Höhen und Tiefen und alles dazwischen uns erst zu wahrhaft exzellenten Geschichtenerzählern machen.

»The scariest moment is always just before you start. After that, things can only get better. «
Stephen King

Zwanzig Jahre führte ich ein bewegtes Leben fernab des Schreibens. Nachdem ich mich 2020 von einer schweren Krankheit und diversen Schicksalsschlägen erholt hatte, kam er zu mir zurück.
Nicht mit der brachialen Gewalt eines Pfahlstoßes, sondern schleichend wie das stetig wachsende Grauen einer verdammt guten Horrorstory.
Aus den Untiefen der Schränke meiner Zweizimmerwohnung – verschüttet unter Steuerpapieren, Verträgen und Versicherungspolicen – krochen mir jene Werke der Jugend buchstäblich unter die Haut. Ich holte sie hervor und las zwei Jahrzehnte alte Zeilen, die mir Tränen des Stolzes in die Augen trieben.
Wie damals schon die Worte meines Vaters gingen mir jetzt die eigenen nicht mehr aus dem Kopf.
Kurze Zeit später erwischte ich mich dabei, wie ich unterbewusst den Plot einer neuen Geschichte entwarf. Das war letztlich der Funke, der das erloschene Feuer neu enflammte. Der Schreibdrang war stärker denn je.
Ich wollte schreiben.
Ich musste schreiben.
»Und wenn es das Letzte ist, was ich tu!«, sagte ich mir und krempelte mein Leben komplett um, um endlich zu der werden zu können, die ich so unbedingt sein wollte. Die ich wahrscheinlich schon immer war.

Noira Händel, Horrorautorin.